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KOENIGS-MEDIA

 

Frauen zwischen Islamismus und Tradition:

"Ein vollkommenes System"

 

Die Universität von Bir Zeit gilt als eine der wichtigsten höheren Bildungsstätten im Westjordanland. Rund ein Drittel der Studierenden sind Frauen. Radikale Islamisten lehnen westliche Werte und Realitäten als dekadenten Irrweg ab und plädieren vehement für strenge islamische Sitten, die nach ihrer Ansicht gerade auch den Frauen mehr Würde und Erfüllung garantieren.

 

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INHALTSVERZEICHNIS

bulletPalästinensische Kaderschmiede
bulletKlischees und Feindbilder über den Islam
bulletMitleid mit dem Westen
bulletHaltung gegenüber Israel

Von

Diemuth Königs

publiziert in Neue Zürcher Zeitung vom 14. Februar 1996 und im

NZZ-Fokus Nr. 4

"Islamismus" vom Juni 1998

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Das Dorf Bir Zeit liegt etwa 20 Kilometer nördlich von Jerusalem entfernt in den judäischen Hügeln. Zu dieser Gemeinde gehört die wohl berühmteste Bildungsinstitution der Westbank und des Gazastreifens - die Universität Bir Zeit. Der neue Campus wurde 1980 auf einer Anhöhe ausserhalb des Dorfes errichtet und wirkt mit seinen Gebäudekomplexen von weitem fast wie eine Festung. Und in der Tat war die Universität während der Intifada ein Zentrum des geistigen Widerstandes der Palästinenser und somit ein symbolisches Bollwerk gegen Israel.

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Palästinensische Kaderschmiede

Die Univesität Bir Zeit gilt als die liberalste und offenste der Region. Sie ist bis heute die Kaderschmiede für die Westbank und den Gazastreifen. Persönlichkeiten, die heute aktiv im palästinensischen Autonomierat Politik und Wirtschaft betreiben und sich um das Bildungwesen und um die Kultur kümmern, absolvierten an dieser Universität ihre Studien.

Die Universität Bir Zeit zählt ungefähr 3000 Studierende. Mehr als ein Drittel davon sind Frauen. Auffallend viele von ihnen tragen den Hidschab (langer Mantel und Kopftuch). Manche bedecken sogar noch ihre Hände mit Handschuhen.

Ich hatte die Gelegenheit, an einer politisch-religiösen Veranstaltung streng muslimischer Studentinnen, die in der Bibliothek der Universität stattfand, teilzunehmen. Männern war offensichtlich der Zutritt verboten. Nahezu alle anwesenden Frauen trugen den Hidschab. Am Ende einer Rede, bei der eine Studentin mit sich überschlagender Stimme nahezu hysterisch zum Kampf gegen Israel aufrief, konnte ich mit einigen Studentinnen ein Interview vereinbaren. Wir trafen uns in ihrem Gebetsraum, der in einem der Universitätsgebäude untergebracht ist. Es war kurz nach dreizehn Uhr und meine Gesprächspartnerinnen verneigten sich zuerst nach Osten und verrichteten ihr Mittagsgebet.

Danach erklärten sie, keinem der ideologischen Blocks an der Universität anzugehören. Sie meinten damit den Islamic bloc, zu dem die Anhänger von Hamas und Dschihad gehören. Die Frauen betonten, einzig und allein gläubige Musliminnen zu sein. Ihr Leben sei auf den Koran ausgerichtet, der jeder Frau Recht und Freiheit gebe. Die Behauptung, Frauen hätten in einer muslimischen Gesellschaft keine Rechte, zeuge von Ignoranz und entspreche westlichem Klischeedenken. So seien sie zum Beispiel nicht gezwungen, einen Mann zu heiraten, den die Eltern ausgesucht hätten. Allerdings, räumten sie ein, käme für sie kein Mann in Frage, der von der Familie nicht akzeptiert würde. Und auch ihren Beruf und ihre Ausbildung könnten sie selbst wählen. Und das geschähe nicht etwa im Widerspruch zum Koran, denn alles was der Religion nicht widerspräche, könne als Beruf ausgeübt werden. Selbstbewusst und stolz verwiesen sie in diesem Zusammenhang auf ihre Studienfächer. Diese reichten von arabischer Sprachwissenschaft über Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwissenschaft bis zum Studium der englischen Sprache. Einige von den Studentinnen wollen ihren Beruf auch als verheiratete Frauen ausüben, wenn es sein muss, so behaupteten sie, sogar gegen den Willen ihrer Männer.

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Klischees und Feindbilder

über den Islam

Die Frauen kamen wieder zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurück und monierten einhellig, dass Europäerinnen ein schiefes und einseitiges Bild von muslimischen Frauen und deren Rechten in der Gesellschaft hätten. Daran sei In hohem Masse die westliche Presse schuld, die mit einseitigen Informationen bereits bestehende Klischees und Feindbilder über den Islam und die muslimische Gesellschaft zementiere. Zu dem Negativbild würden aber auch jene arabischen Schriftstellerinnen beitragen, die sich vom Islam entfernt hätten. Deren Denken sei auf westliche Wertmassstäbe ausgerichtet und könne somit der Rolle der Frau im Islam nicht mehr gerecht werden. Es wäre besser, meinten die Studentinnen, westliche Frauen würden einmal Bücher von Frauen, die den Islam praktizierten in die Hand nehmen, diese vermittelten eine ganz andere Wahrheit.

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Mitleid mit dem Westen

Zum Thema "Westen" gaben die Studentinnen folgendes Statement ab. Es sei ihnen bewusst, dass der Westen den arabischen Ländern an technischem Wissen überlegen sei. Sie erinnerten an die Zeiten, in denen die arabische Wissenschaften und Kunste führend waren und das abendländische Denken beeinflussten. Die Frauen wünschten, dass sich dieser Zustand einmal wiederhole. Im übrigen konstatierten sie, sei der Westen zu bemitleiden. Die ethischen Werte stimmten schon lange nicht mehr, weil sie leer und ausgehöhlt seien. Die Kultur des Westens sei verderblich und schlecht. Frauen seien generell zu reinen Sexobjekten degradiert. Ausserdem fänden die Menschen keinen Halt mehr in der Religion. Das sei auch der Grund für den Zerfall der Familien, welche die Grundfesten einer Gesellschaft darstellten.

Sie selbst befolgten ihre religiösen Vorschriften und daraus erwachse ihnen Kraft und Halt. Der Islam sei als religiöses, soziales und oekonomisches System vollkommen. Darin unterscheide er sich vom Christentum. "Der Islam lebt und die Menschen leben durch den Islam", skandierte eine Studentin. "Ein Zeichen dafür wie lebendig der Islam ist", fuhr sie fort, "sind doch die vielen Uebertritte zu dieser Religion, auch in Europa. Das spricht doch auch dafür, dass das Christentum als Religion keine Werte mehr vermitteln kann."

Auf ihre Kleidung, den Hidschab, sind sie stolz. Sie tragen ihn, weil es der Koran so vorschreibt und sie fühlen sich damit sicher und geschützt. Der Mann, der sie einmal heiratet, erklärten sie, könne ihre Schönheit am Gesicht und an der "Hautfarbe" (Schönheitsideal möglichst weiss) erkennen. Er schätze die Frau, die ihren Körper verbirgt, umso mehr, weil er sich dann allein auf deren Charakter konzentrieren kann.

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Haltung gegenüber Israel

Diese Muslimminnen lehnen wie ihre Kommilitonen von Hamas das Existenzrecht Israels und somit auch den Friedensprozess ab. Sie hätten es gerne, wenn der Staat Israel von der Landkarte ausradiert wäre. Eine Studentin berichtete in diesem Zusammenhang, sie habe mehrere Male den Anlauf genommen, Hebräisch zu lernen. Es sei ihr nicht gelungen. Ihre Hand hätte sich gesträubt, die hebräischen Buchstaben zu schreiben, weil diese genauso hässlich wie die Juden seien.

Was bringt nun junge, gutausgebildete Frauen dazu, sich derart fanatisch an einer Religion festzuklammern, die gerade in der Art wie sie von ihnen interpretiert wird, nicht toleriert ist? Eine Antwort liegt in der Argumentation der Studierenden. Es handelt sich um eine Ueberreaktion auf eine Politik, die von christlicher und jüdischer, sprich amerikanischer und israelischer Seite ausgeübt und ihrer Gesellschaft aufgezwungen wird und der sie sich hilflos ausgeliefert fühlen. Diese Politik erinnert an die Kolonialzeit und wird dementsprechend als imperialistische Unterdrückung empfunden. Aus diesem Grund wird auch der Kultur- und Ideologieimport aus dem Westen als Anhängsel dieser Politik begriffen, das die eigene Kultur untergräbt und aushöhlt. Dies ist umso relevanter, als keine der westlichen Ideologien bis jetzt Lösungsvorschläge für die eigenen Probleme liefern konnte. Neue Werte sind noch nicht gefunden.

Was liegt deshalb näher, als sich auf die eigenen Wurzeln zurückzubesinnen. Und hier spielt nun eben die Religion, der Islam, die bedeutende Rolle. Er gibt mit seinen festen Regeln und Vorschriften, die jedes Detail des täglichen Lebens umfassen, einen Halt. Das Gefühl zur Umma, der grossen Gemeinschaft der Gläubigen zu gehören, vermittelt ein Selbstbewusstsein, mit dem das unterschwellig vorhandene Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der technischen Ueberlegenheit des Westens mehr als kompensiert werden kann.

 

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Zuletzt geändert am: 01. April 2013