as Dorf Bir Zeit
liegt etwa 20 Kilometer nördlich von Jerusalem entfernt in den judäischen Hügeln. Zu
dieser Gemeinde gehört die wohl berühmteste Bildungsinstitution der Westbank und des
Gazastreifens - die Universität Bir Zeit. Der neue Campus wurde 1980 auf einer Anhöhe
ausserhalb des Dorfes errichtet und wirkt mit seinen Gebäudekomplexen von weitem fast wie
eine Festung. Und in der Tat war die Universität während der Intifada ein Zentrum des
geistigen Widerstandes der Palästinenser und somit ein symbolisches Bollwerk gegen
Israel.
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Palästinensische Kaderschmiede
ie Univesität Bir Zeit gilt als die
liberalste und offenste der Region. Sie ist bis heute die Kaderschmiede für die Westbank
und den Gazastreifen. Persönlichkeiten, die heute aktiv im palästinensischen
Autonomierat Politik und Wirtschaft betreiben und sich um das Bildungwesen und um die
Kultur kümmern, absolvierten an dieser Universität ihre Studien.
ie Universität Bir Zeit zählt ungefähr 3000 Studierende.
Mehr als ein Drittel davon sind Frauen. Auffallend viele von ihnen tragen den Hidschab
(langer Mantel und Kopftuch). Manche bedecken sogar noch ihre Hände mit Handschuhen.
ch hatte die Gelegenheit, an einer politisch-religiösen
Veranstaltung streng muslimischer Studentinnen, die in der Bibliothek der Universität
stattfand, teilzunehmen. Männern war offensichtlich der Zutritt verboten. Nahezu alle
anwesenden Frauen trugen den Hidschab. Am Ende einer Rede, bei der eine Studentin mit sich
überschlagender Stimme nahezu hysterisch zum Kampf gegen Israel aufrief, konnte ich mit
einigen Studentinnen ein Interview vereinbaren. Wir trafen uns in ihrem Gebetsraum, der in
einem der Universitätsgebäude untergebracht ist. Es war kurz nach dreizehn Uhr und meine
Gesprächspartnerinnen verneigten sich zuerst nach Osten und verrichteten ihr
Mittagsgebet.
anach erklärten sie, keinem der ideologischen Blocks an
der Universität anzugehören. Sie meinten damit den Islamic bloc, zu dem die Anhänger
von Hamas und Dschihad gehören. Die Frauen betonten, einzig und allein gläubige
Musliminnen zu sein. Ihr Leben sei auf den Koran ausgerichtet, der jeder Frau Recht und
Freiheit gebe. Die Behauptung, Frauen hätten in einer muslimischen Gesellschaft keine
Rechte, zeuge von Ignoranz und entspreche westlichem Klischeedenken. So seien sie zum
Beispiel nicht gezwungen, einen Mann zu heiraten, den die Eltern ausgesucht hätten.
Allerdings, räumten sie ein, käme für sie kein Mann in Frage, der von der Familie nicht
akzeptiert würde. Und auch ihren Beruf und ihre Ausbildung könnten sie selbst wählen.
Und das geschähe nicht etwa im Widerspruch zum Koran, denn alles was der Religion nicht
widerspräche, könne als Beruf ausgeübt werden. Selbstbewusst und stolz verwiesen sie in
diesem Zusammenhang auf ihre Studienfächer. Diese reichten von arabischer
Sprachwissenschaft über Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwissenschaft bis zum
Studium der englischen Sprache. Einige von den Studentinnen wollen ihren Beruf auch als
verheiratete Frauen ausüben, wenn es sein muss, so behaupteten sie, sogar gegen den
Willen ihrer Männer.
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Klischees und Feindbilder
über den Islam
ie Frauen kamen wieder zum Ausgangspunkt des Gesprächs
zurück und monierten einhellig, dass Europäerinnen ein schiefes und einseitiges Bild von
muslimischen Frauen und deren Rechten in der Gesellschaft hätten. Daran sei In hohem
Masse die westliche Presse schuld, die mit einseitigen Informationen bereits bestehende
Klischees und Feindbilder über den Islam und die muslimische Gesellschaft zementiere. Zu
dem Negativbild würden aber auch jene arabischen Schriftstellerinnen beitragen, die sich
vom Islam entfernt hätten. Deren Denken sei auf westliche Wertmassstäbe ausgerichtet und
könne somit der Rolle der Frau im Islam nicht mehr gerecht werden. Es wäre besser,
meinten die Studentinnen, westliche Frauen würden einmal Bücher von Frauen, die den
Islam praktizierten in die Hand nehmen, diese vermittelten eine ganz andere Wahrheit.
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Weiter 2.
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Mitleid mit dem Westen
um Thema "Westen" gaben die Studentinnen
folgendes Statement ab. Es sei ihnen bewusst, dass der Westen den arabischen Ländern an
technischem Wissen überlegen sei. Sie erinnerten an die Zeiten, in denen die arabische
Wissenschaften und Kunste führend waren und das abendländische Denken beeinflussten. Die
Frauen wünschten, dass sich dieser Zustand einmal wiederhole. Im übrigen konstatierten
sie, sei der Westen zu bemitleiden. Die ethischen Werte stimmten schon lange nicht mehr,
weil sie leer und ausgehöhlt seien. Die Kultur des Westens sei verderblich und schlecht.
Frauen seien generell zu reinen Sexobjekten degradiert. Ausserdem fänden die Menschen
keinen Halt mehr in der Religion. Das sei auch der Grund für den Zerfall der Familien,
welche die Grundfesten einer Gesellschaft darstellten.
ie selbst befolgten ihre religiösen Vorschriften und
daraus erwachse ihnen Kraft und Halt. Der Islam sei als religiöses, soziales und
oekonomisches System vollkommen. Darin unterscheide er sich vom Christentum. "Der
Islam lebt und die Menschen leben durch den Islam", skandierte eine Studentin.
"Ein Zeichen dafür wie lebendig der Islam ist", fuhr sie fort, "sind doch
die vielen Uebertritte zu dieser Religion, auch in Europa. Das spricht doch auch dafür,
dass das Christentum als Religion keine Werte mehr vermitteln kann."
uf ihre Kleidung, den Hidschab, sind sie stolz. Sie
tragen ihn, weil es der Koran so vorschreibt und sie fühlen sich damit sicher und
geschützt. Der Mann, der sie einmal heiratet, erklärten sie, könne ihre Schönheit am
Gesicht und an der "Hautfarbe" (Schönheitsideal möglichst weiss) erkennen. Er
schätze die Frau, die ihren Körper verbirgt, umso mehr, weil er sich dann allein auf
deren Charakter konzentrieren kann.
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Haltung
gegenüber Israel
iese Muslimminnen lehnen wie ihre Kommilitonen von Hamas
das Existenzrecht Israels und somit auch den Friedensprozess ab. Sie hätten es gerne,
wenn der Staat Israel von der Landkarte ausradiert wäre. Eine Studentin berichtete in
diesem Zusammenhang, sie habe mehrere Male den Anlauf genommen, Hebräisch zu lernen. Es
sei ihr nicht gelungen. Ihre Hand hätte sich gesträubt, die hebräischen Buchstaben zu
schreiben, weil diese genauso hässlich wie die Juden seien.
as bringt nun junge, gutausgebildete Frauen dazu, sich
derart fanatisch an einer Religion festzuklammern, die gerade in der Art wie sie von ihnen
interpretiert wird, nicht toleriert ist? Eine Antwort liegt in der Argumentation der
Studierenden. Es handelt sich um eine Ueberreaktion auf eine Politik, die von christlicher
und jüdischer, sprich amerikanischer und israelischer Seite ausgeübt und ihrer
Gesellschaft aufgezwungen wird und der sie sich hilflos ausgeliefert fühlen. Diese
Politik erinnert an die Kolonialzeit und wird dementsprechend als imperialistische
Unterdrückung empfunden. Aus diesem Grund wird auch der Kultur- und Ideologieimport aus
dem Westen als Anhängsel dieser Politik begriffen, das die eigene Kultur untergräbt und
aushöhlt. Dies ist umso relevanter, als keine der westlichen Ideologien bis jetzt
Lösungsvorschläge für die eigenen Probleme liefern konnte. Neue Werte sind noch nicht
gefunden.
as liegt deshalb näher, als sich auf die eigenen Wurzeln
zurückzubesinnen. Und hier spielt nun eben die Religion, der Islam, die bedeutende Rolle.
Er gibt mit seinen festen Regeln und Vorschriften, die jedes Detail des täglichen Lebens
umfassen, einen Halt. Das Gefühl zur Umma, der grossen Gemeinschaft der Gläubigen zu
gehören, vermittelt ein Selbstbewusstsein, mit dem das unterschwellig vorhandene
Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der technischen Ueberlegenheit des Westens mehr als
kompensiert werden kann.
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